Wenn ich von Italien träumte, dann träumte ich von bunten Häusern, die an steilen Felsen über dem tosenden Meer kleben und in der untergehenden Sonne leuchten. Ich träumte von engen Gassen, über denen nasse Wäsche und alte Fischernetze hängen, von kleinen Häfen, netten Menschen und dem ewigen Sommer. Kurz: Ich träumte von den Cinque Terre, jenen fünf Dörfern im norditalienischen Ligurien, die seit 1997 zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören – meinem Inbegriff von Italien!
Entsprechend groß waren meine Vorfreude und meine Erwartungen als wir im Juni 2014 auf unsere Rundreise durch Norditalien und Südfrankreich auch drei Tage Station in Riomaggiore, einem der fünf berühmten Cinque-Terre-Dörfer machten.
Wir flogen von Köln nach Nizza, das uns mit viel Sonne und Temperaturen empfing, von denen wir noch ein paar Sunden zuvor im frühsommerlichen Deutschland nicht zu träumen gewagt hätten.
Zwei Stunden, die wir in der Schlange vorm Mietwagen-Counter verbrachte hatten, später fuhren wir dann endlich mit unserem kleinen Cabrio entlang der südfranzösischen Küste in Richtung Cinque Terre, meinem italienischen Sehnsuchtsziel.
Die Fahrt auf der Küstenstraße direkt am Meer war traumhaft, dauerte jedoch sehr viel länger als wir dachten. Und so kamen wir erst abends in Riomaggiore an. Elisabeth, die nette Vermieterin unseres Bed & Breakfast „Sol Levante“, hatte ich von unterwegs angerufen. Sie wollte uns um 20.30 Uhr am Ortseingang abholen.
Riomaggiore ist wie die anderen Orte der Cinque Terre autofrei. Daher müssen Touristen auf einem großen Parkplatz außerhalb des Dorfes parken, dessen Zufahrten mit einer Schranke abgesperrt sind. Einige Einheimische haben einen Schlüssel für diese Schranke und dürfen mit dem Auto bis zu ihren Häusern fahren. So auch Elisabeth, die uns einen Parkplatz unweit ihres Bed & Breakfast reserviert hatte, damit wir nicht mit Sack und Pack vom „Touristen-Parkplatz“ durch halb Riomaggiore laufen mussten.
Soweit die Theorie… Die Praxis sah leider anders aus. Als wir einige Minuten nach der vereinbarten Zeit auf dem Parkplatz ankamen, war von Elisabeth keine Spur.
Und auch sonst war hier nichts so, wie ich es mir vorgestellt hatte… Riomaggiore empfing uns mit einem fast menschenleeren Parkplatz außerdelb des Ortes, den man im Halbdunkel nur erahnen konnte. Statt des erhofften ewigen Sommers war es kühl und windig, statt bunter Häuschen sahen wir nur eine Schranke und ein häßliches graues Parkhaus aus den 80er Jahren. Benvenuti a Riomaggiore! Das sollte mein Inbegriff von Italien sein??
Als unsere Vermieterin auch nach einer Viertelstunde noch nicht aufgetaucht war, rief ich sie auf dem Handy an. Sie war leider momentan nicht erreichbar, wie eine nette Stimme auf italienisch mir mitteilte. Wir warteten weiter… Und riefen sie noch einmal an. Immer und immer wieder.
Mittlerweile war es fast viertel nach Neun und es war stockdunkel, als mein Mann beschloss, zu Fuß unser Bed & Breakfast und unsere verschollene Vermieterin zu suchen.
Ich sollte im Auto auf ihn warten, falls sie doch noch hier auftauchen würde. Ich blieb also alleine auf dem einsamen, dunklen Parkplatz und wählte alle paar Minuten Elisabeths Nummer – erfolglos. Dann rief mein Mann an!
Er hatte unser Bed & Breakfast gefunden, konnte allerdings nicht klingeln, da die Klingel kaputt und eingerostet war. Da Klingeln also ausfiel, versuchte ich es noch einmal auf Elisabeths Handy. Diesmal mit Erfolg. Ich erklärte ihr auf englisch, dass mein Mann vor ihrem Haus steht, sie antwortete mir auf englisch-italienisch, dass sie in den letzten Stunden leider keinen Handy-Empfang hatte, was aufgrund der Berge in Riomaggiore wohl öfters mal passierte und dass sie sich gleich mit meinem Mann auf den Weg zum Parkplatz machen würde. Und tatsächlich: Nach einigen Minuten tauchten die beiden in der Dunkelheit auf.
Elisabeth, die übrigens überaus nett und reizend war, öffnete die Schranke und wir quetschten uns zu dritt in unser kleines Cabrio und fuhren zu dem Parkplatz, den sie für uns reserviert hatte. Erkenntnis: „In der Nähe“ scheint in Italien ein dehnbarer Begriff zu sein. Wir mussten unser Gepäck noch gefühlte zwei Kilometer von einer Ebene des Ortes zur anderen schleppen, denn der Aufzug, der diese beiden Ortsteile miteinander verbindet, war leider – genau wie Elisabeths Klingel – kaputt. Mittlerweile waren wir nicht nur total genervt, sondern ich stand kurz davor, mich auf die Straße zu setzen und zu heulen. So groß war die Enttäuschung, dass wir hier statt Bella Italia das reinste Chaos erlebten.
Von Liebe auf den ersten Blick zwischen Riomaggiore und mir kann also absolut keine Rede sein.
Dass eine Liebe auf den zweiten Blick aber mindestens genauso schön sein kann, sollte ich wenige Minuten nach meinem Beinahe-Nervenzusammenbruch auf der Straße erfahren.
Nachdem wir unsere Koffer die unzähligen Stufen zu Elisabeths Bed & Breakfast hochgeschleppt hatten, standen wir endlich vor unserer Zimmertür. Wir schlossen auf und was uns dann erwartete, war so kitschig-romantisch, dass unsere Müdigkeit und die letzten nervigen Stunden mit einem Schlag vergessen waren.
Wir standen in einem hübschen kleinen Zimmer mit einem winzigen Balkon, der eine wundervolle Aussicht auf das mondbeleuchtete Meer, die Berge und auf Riomaggiore bot, das sich uns endlich so zeigte, wie ich es mir erträumt hatte: als ein perfektes Stück Italien, in das ich mich zwar nicht auf den ersten Blick, aber trotzdem unsterblich verliebt habe.